Unsere Flucht aus der Ukraine
Die Invasion der russischen Truppen in Kiew und unsere Flucht
Bild 1 (oben): 19.02.22 - friedliche Tage in Kiew. 5 Tage vorm Krieg
Bild 2 (unten): 25.02.22 - wir sind im Fluchtlingszug, träumen ums Überleben.
Ich schreibe diese Zeilen im Haus meines Bruders in Schwarzhofen, einem Dorf im Süden Deutschlands. Meine Freundin und ich sind nun in Sicherheit. Die Flucht aus dem Kriegsgebiet ist uns gelungen.
Bevor ich meine Berichtserstattung anfange, hier ist die kurze Vorgeschichte.
Kurze Vorgeschichte
Im Dezember 2019 bin ich nach Indien mit einem touristischen Jahresvisum ausgereist.
Vor etwa zehn Jahren war ich bereits dort. Der Winter in den Tropen hat mir sehr gut gefallen. Diese unvergessliche Erfahrung wollte ich gerne wiederholen.
Im Gegenteil zum letzten Mal hatte ich eine stabile Einkunftsquelle.
Als Migrationsberater
helfe ich derjenigen, wer nach Deutschland einwandern will.
Mein Hauptauftraggeber war (und immer noch ist) ein Berliner Unternehmen
(BCA Relocation GmbH).
Ich wollte keine "Backpacker-Reise".
Eigentlich wollte ich nur mein Arbeitsplatz in eine angenehme Umgebung versetzen.
Aber ich hatte auch eine "geheime Mission".
Nach zehn Jahren eines Junggesellenlebens wünschte ich mir so gerne eine Ehefrau zu finden,
mit der ich den Rest meines Lebens glücklich verbringen kann.
So geschah es auch, aber auf einer ganz unerwartete Art und Weise.
Sie hieß Danica und lebte nicht in Indien sondern auf den Philippinen.
Wegen COVID konnten wir uns fast zwei Jahren nicht treffen.
Ich als ausländischer Tourist durfte nicht in die Philippinen,
sie durfte nicht raus weil dortige Ausreisepolitik extrem streng ist.
Letztendlich ist es Dani gelungen mit einem medizinischen Visum nach Indien auszureisen.
Ich habe sie im Flughafen New Delhi abgeholt und zu mir nach
Daramshala, ein Städchen am Fuss der Himalayas, gebracht. Unser Plan war bei der nächstliegender deutschen Konsulat ein Visum zu beantragen, um in Deutschland zu heiraten.
Inzwischen hat sich die COVID Situation in Indien dermassen verbessert, dass der internationale Luftverkehr wieder funktionierte. Die indische Migrationsbehörde hat mich freundlich aufgefordert, das Land bald zu verlassen. Wir gingen nach Armenien, weil dieses Land sehr unkompliziert und günstig ein 4-monatiges Visum für Dani ausgestellt hatte. Am 27.Novermer landeten wir in Yerevan und am nächsten Tage war Dani bereits in der deutschen Botschaft.
Ihr Visumantrag wurde jedoch nicht angenommen weil sie keinen langfristigen Aufenthalt in Armenien hatte.
In den nächsten Wochen haben alle anderen europäischen und balkanischer Staaten gleich reagiert. Sobald sich herausstellte dass Dani mit einem eVisum in Armenien ist hiess es "Visumantrag nicht möglich". Letztendlich die Botschaft Serbien hat mit einer sehr freundlichen und viel versprechender Email geantwortet. Dani kann mit einem touristischen e-Visum nach Kiew kommen um ein langfristiges D-Visum nach Serbien zu beantragen. Dies war wie ein heller Strahl in der Dunkelheit. Zwei Wochen später, am 25.Januar sind wir in Kiew gelanded und am gleichen Tag waren wir in der Botschaft Serbien in Kiew. Das Visum wurde allerdings abgelehnt aber es ist eine andere Geschichte.
Die Tatsache ist so dass wir dermassen stark mit dem Leben in Serbien gerechnet haben, dass wir keinen Plan B hatten.
Nach der Absage Serbiens waren wir in der Zweckmühle. Das Ukrainische Visum ging zu Ende und kein Land wollte eine Filipina aufnehmen. Moldawien, Türkei, Belarus, Israel - alle diese Optionen haben gescheitert. Was tun? Okay, wir gehen zurück nach Armenien hiess es. Und schon wieder stellte uns Armenien das eVisum unkompliziert und schnell. Unser Freude minderte nur die Ticketpreise. Die nächsten Tagen waren unglaublich teuer. So haben wir unseren Flieger erst fürs 25.Februar gebucht. Das ukrainische Visum endete am 21. Februar.
Nun hatten wir den 24.Februar. Der Plan war, gegen Mittag PCR Test zu machen, packen und am nächsten Tag frühzeitig nach Flughafen zu fahren.
Und nun die Story beginnt.
Tag 1. Invasion
24.Feb. 2022
Früh am morgen gegen 7 Uhr klopfte es an die Tür. Es war Ludmila, unsere Gastgeberin (seit drei Wochen haben wir bei ihr ein Zimmer gemietet). Ich rief sie hereinkommen. Sie trat langsam herein. Mit Überwindung stosste sie aus sich herein: "Heute ist der richtige Krieg angefangen". Ich wollte meinen Ohren nicht glauben und starrte sie an.
"Mehrere Städte angegriffen. Es sind schwere Gefechte ganz in der Nähe. Browary (ein Stadtteil von Kiew) ist bombariert worden." Sie ging aus dem Zimmer. Alles drehte sich vor meinen Augen. Der Verstand wollte nicht akzeptieren dass "der richtige Krieg" angefangen hatte. Ich schaltete mein Smartphone an und tippte etwas wie "Deutsche Welle Krieg in Ukraine". Zu meiner Bewunderung gab es sehr wenige Berichte davon. Die meisten Berichte waren letzten Tagen datiert.
Es klingelte an die Wohnungstür. Dmitry, der fünfzigjähriger Sohn unserer Gastgeberin, trat ein um den Evakuirungorganisation zu besprechen. Nach einem schnellen Frühstuck sind beide weggegangen. Wir wollten auch frühstücken und bei der deutschen Botschaft uns zu erkundigen, wie die Evakuirung von deutschen Bürgern organisiert wurde. Ich rannte nach unten um frisches Brot zu kaufen. Zur meiner Bewunderung standen vor den Geschäften Menschenschlangen. Es wird sicher eine oder mehrere Stunden dauert, dachte ich und eilte zurück in die Wohnung. Unsere Wohnung befindet sich auf dem 12 Stock. Aber nun hatte ich kein Vertrauen einen Aufzug zu benutzen. Der Strom konnte jeden Moment abgeschnitten sein. Meine mobile Verbindung funktionierte nicht mehr. Glücklicherweise konnte ich die mobile Internet immer noch benutzen.
Ich stürtzte in die Wohnung: "Dani! Wir frühstücken jetzt schell was wir haben, packen alles Wichtigste in zwei kleine Rücksäcke und fahren zur Botschaft. Telefonisch ist sie nämlich nicht mehr zu erreichen.
Draussen hat sich die Strasse inzwischen geleert. Am frühen Morgen haben wir aus unserer Wohnung auf dem 12-Stock nämlich eine riesige Stau beobachtet. Wir hatten keine Zeit auf den Bus zu warten. Ich schaltete den Uber App ein. Aber alle Fahrten waren stillgelegt. Das alles wirkte irgendwie beunruhigend. Endlich kam die "Marschrutka" (ein kleinbus, eine Art Sammeltaxi). Das erste mal in Kiew haben wir ein komplett leeres Marschrutka gesehen. Wir stiegen an und eine halbe STunde später waren an der "Pochajna" Metro Station. Unterwegs haben wir nichts Beunruhigendes bemerkt, bis auf zwei Dinge - lange Schlangen an Tankstellen (ein-zwei hundert Autos) und viele Kleinshops neben der Metro-Station waren zu.
Die Metro funktionierte aber. Und zwar kostenfrei. Kurze Zeit danach standen wir vor der deutschen Botschaft. Das buntbemaltes Gebäude war geschlossen. Nichtmal Security war dort zu sehen. Der Zettel auf der Tür kündigte an, dass die deutschen Staatsbürger um die Evakuirung selbst sorgen sollten.
Bild 3: Geschlossene deutsche Botschaft in Kiew. Die Botschaft wurde bereits evakuiert. Man hat alles mitgenommen sogar die deutsche Flagge.
Mich wunderte micht, dass die Botschaft bereits evakuiert wurde. Aber ich konnte es nicht fassen, dass es keine Fluchthilfe vor Ort gabs.
Bild 4: Die Rufnummer ist übrigens falsch eingegeben. Und es gibt niemandem mehr, die zu korrigieren.
Wir suchten Banken um eine Möglichkeit zu finden, das Bargeld abzuholen. Ich habe nämlich an Dani aus meinem deutschen Konto via Western Union einiges verschickt. Alle Banken wurden jedoch geschlossen. Vor Bankomaten standen Schlangen. Wir begegneten einem franzüsischen Ehepaar. Die Frau sah wie eine Japanerin oder Koreanierin aus. Wir bemerkten dass sie panische Angst hatte. Wir haben uns umarmt. Sie machte sich deutlich Mühe nichts in Tränen auszubrechen. Ihre Stimme zitterte.
Allmählich wurde mir klar, dass die Sache ernst ist. Aber damals ahnte ich nicht, dass sie viel mehr ernsthafter war.
In einem Businesszenter haben ich mein Laptop aufgemacht und eine weitere Überweisung gemacht, diesmal nicht Cash, sondern an Danis Bank, sodass sie mit ihrer Kreditkarte abheben konnte. Geld wurde binnen weniger minuten verschickt - dank Western Union! Wir hatten Bargeld und eilten nach Hause um einen PCR test zu machen. Am Abend nächstes Tages (25.Februar) würden wir abhauen können, freuten wir uns.
Im Metro haben wir einzelne junge Menschen gesehen, die ausser ihrer Zivilkleidung eine Maschinengewehr und Schutzhelm trugen. Um sie herum standen andere Jungs und Mädels, wahrscheinlich Freunde und Verwandte. Die haben gelächelt und taten so als ob alles halbsoschlimm wäre.
Ich schaute heimlich an Dani. Ich wusste dass sie Angst hat. Aber sie zeigte es nicht. Ich atmete auf. Schnell waren wir zuhause, hatten aber keine Zeit zum essen, denn die nächstliegende Labor "Sinevo" halbe Stunde später schliesste. Denkst Du, die Flugzeuge fliegen morgen? - fragte Dani? Ich sagte, dass der Flugverkehr bis zur Mitternacht eingestellt wurde. Aber um 22 Uhr sollte eine Ankündigung geben, ob man morgen fliegen könnte. "Ich würde aber PCR Test trotzdem machen, fügte ich fort, denn ich werde mir es nicht verzeihen, wenn die Flüge wieder fliegen und wir wegen der fehlenden PCR-Test nicht an Board zugelassen würden."
Wir gingen aus dem Haus und waren bereits kurz vor der Labor als mein Bruder Vasilij mich per Whatsapp angerufen hat. "Slavik, was denkst Du dir? Ich bin mehr als sicher, dass Flugverkehr weder morgen noch nächste Tagen funktioniert. Ihr werdet nirgendwohin fliegen können. Verschwendet kein Geld für PCR-Test, schnappt eure Sachen, rennt zum Hauptbahnhof und dann um jeden Preis an die westliche Grenze. Wenn es keine Karten bis Lemberg gibt, fährt einfach irgendwohin, bloss weg aus Kiew". Etwas in seiner Stimme machte einen sehr überzeugenden Eindruck. Ich versprach ihm baldmöglichst seinem Rat zu folgen. Wir kehrten um und eilten nach Hause. Einige Minuten später, kurz vorm Haus, klingelte es wieder, diesmal meine Mutter. Die hat angefangen mir vorzuwerfen, warum ich früher nicht ausgereist bin. - "Mama!" - rief ich verzweifelt, "deine Reden sind richtig, aber sie helfen nicht, Auswege zu finden! Bete für uns dass wir lebend das Land verlassen".
- "Dann geht eben zur Kirche und betet vor dem Gott, er möge euch unterwegs schützen". Wir folgten auch diesem Rat, denn eine Kirche stand ganz in der Nähe. Als wir aus dem Gotteshaus rauskamen ist es mir aufgefallen, dass die Umgebung ruhig wirkte. Etwas weniger Menschen auf der Strasse als sonst, ansonsten alles wie immer. Zurück zur Realität: eine kleine Bäckerei glanzte mit absolut leeren Regalen. Das allererste was man noch am früheren Morgen weggekauft hat war das Brot und der sonstiges Gebäck, teilte uns die Verkäuferin.
Zuhause schauten wir kritisch unser Gepäck an. ich habe mich entschlossen, einige warme Sachen, das Schlafsack und meine Yoga-Matte mitzunehmen. Dani versuchte mich zu überreden ihr Rollkoffer mitzunehmen. Aber ich war kompromisslos. Der Koffer bleibt hier. Andererseit werden wir ihn höchstwahrscheinlich beim Rennen wegwerfen lassen. Eine halbe Stunde später habe ich auch Danis Widerreden ignoriert, sie möchte gerne vom 12ten Stock nicht zufuss mit dem Gepäck laufen. "Dani! Ich will nicht die geringste Chance zulassen, dass wir im Aufzug steckenbleiben". Glücklicherweise war Dani schnell einverstanden.
Draussen ist inzwischen dunkel geworden. Es gab wieder keine Büsse. Aber es standen ein paar Menschen auf der Haltestelle. Ich habe nochmal Uber abgerufen. Diesmal war es noch schlimmer - "Alle Fahrten abgesagt". Wir haben angefangen vorbeifahrende Autos zu stoppen. Aber keiner wollte anhalten. Plötzlich hat uns eine Frau angesprochen, die auch auf der Haltestelle wartete: "Ich habe meinen Eheman angerufen. Er kommt gleich. Wir können euch bis zur einen Metrostation mitnehmen." Wir atmeten auf. Tatsächlich kurz danach sassen wir in einem japanischen Geländewagen. Alle schwiegen. Im Radio liefen live Berichte von Gefechten rund um Kiew und anderen Städten. Ich spürte ein sehr unangenehmes Gefühl im Bauch. Es kamen Erinnerungen an Berichte vom Krieg in Yugoslavien. Aber es wurde mir klar, das ich auf gar keinen Fall dieser Angst nachgeben darf. Wenn man kurz vor Panik steht, ist man beinah Verloren. Ich habe versucht mich auf die Tickets zu fokussieren. Ob es für heutige Züge noch Karten gibt? Was tun, wenn nach Lemberg alles ausgebucht ist?
Unsere Wohltäter liessen uns an der Metrostation "Politech Institut" aussteigen. Die wollten kein Geld haben. Ich habe aber ihm etwas Geld trotz Widerreden in die Hand gedruckt, denn es war eindeutig, dass an nächsten Tagen die Preise hochspringen werden. Wir verabschiedeten uns und eilten zum Metro.
Bis zur Station "Vokzalnaya" (Hauptbahnhof) mussten nur noch eine Station fahren. Unten war die Metro voll. Die meisten Menschen waren dort aber nicht um weiter zu fahren, sondern um Schutz zu suchen. Denn die Metro ist bombensicher.
Auf dem Bahnhofplatz herrschte Aufregung. Viele Flüchtlinge eilten hin und her. Es war aber keine panische Stimmung. Zumindest habe ich das nicht gespürt. Der Bahnhof war voll mit Menschen. Wir haben uns an einer einzigen geöffneten Kasse angestellt. Bewunderlicherweise war die Schlage nicht sehr lang. Nach ca. 40 minuten war ich dran. Aber die Nachrichten waren schlecht. Keine Karten für die näcsten drei Tagen. Die Kasse machte zu. Die Kassierein sagte, dass in der anderen Halle drei Kassen geöffnet sind. Ohne viel Hoffnung stürtzen wir mit anderen Menschen hin.
In der anderen Halle nach dem Warten in einer neuen Schlange hat es sich nur bestätigt. Keine Karten für nächste Tage. Wenn man neben dem Fahrkartenschalter "die Wache schiebt", ab und zu tauchen die zurückgegebenen Karten auf. Aber immer einzeln. Wir überlegten was wir tun sollten.
Es klingelte an meinem Smartphone. Gianni, ein meiner Berliner Freunde, rief mich an. Er wusste, dass ich und Dani in der Ukraine waren und war sehr besorgt. Ich habe ihn gebeten mit mir gleichzeitig online Karten zu buchen, genauer gesagt, zu versuchen irgendeine andere Möglichkeit zu finden, z.B. einen Fernbus. Gianni und Pepe machten siech an der Arbeit, aber alle Busgesellschaften waren entweder ausgebucht oder nicht erreichebar.
In der Schlange habe ich ein Mädchen kennengelernt, das vor ein paar Jahren in Niedersachsen als Au-Pair tätig war. Sie hiess Anastasia und sprich fliessend Deutsch. Ihre damaligen Gastfamilie bat sie an, zu ihnen zu fliehen. Anastasia hatte ein Fernbusticket für nächste Morgen. Aber sie befürchtete, ob morgen überhaupt noch möglich wäre zwischen Gefechten durchzukommen. Deswegen kam sie zum Bahnhof. Ihre Bemühungen waren aber erfolglos. Freie Karten gab erst fürs 1.März.
Anasstasia sagte dass in einer Stunde wird es 22 Uhr sein und die Ausgangssperre beginne. Das Gebäude des Bahnhofs sei für die Übernachtung nicht sicher. Ihr Vorschlag war, dass wir zu dritt ein Luftschutzkeller zuchen oder in der Metrostation uns verstecken. Wir gingen zum Metroeingang, welches nicht mal hundert Meter vom Bahnhof entfernt war.
Auf dem karg beleuchteten Bahnhofsplatz fiel mir auf, dass kleine Imbisse und Kioske alle geschlossen waren. Machdonalds war auch gesperrt, Lichter aus. Es wirkte irgendwie beängstigend, denn Macdonalds hat ansonsten immer auf. Auf dem Weg zu Metro sahen wir eine lange Schlange - in der winzigen Bude blieben nur zwei Sorten unappetietlich aussehenden Gebäcks. Gottseidank gab es noch einen geöffneten Kiosk. Dort gab es noch viele Wurstsorten, Schokoriegel, Chips und ähnliche Snacks, auch Limonaden und alkoholische Getränke. Die Schlange war deutlich kleiner, weil die Preise hoch waren. Ob die Preise extra verdoppelt waren oder so wie ummer (denn am Bahnhof ist das Essen immer etwas teuerer) kann ich nicht sagen. Wir versorgten uns mit Wasser, Schokolade, Zwieback und Quark.
Nacht in der Metro
Bild 5: Dani im Metro auf dem Weg zum Hauptbahnhof.
Die Metrostation war beleuchtet, die Rolltreppen funktionierten. Tief unten (42 meter unter der Erdoberfläche), an Bahnsteigen gab zwar kein Gedrängel aber es waren doch viele Menschen unter der Erde Schutz suchten. Der Zugbetrieb funktionierte. Jede fünf Minuten kamen und gingen Metrozüge. Neue Menschen mit Gepack und Haustieren kamen an und eilten nach oben, zum Bahnhof.
Die Station war voll mit Menschen die nirgendwohin fuhren. Sie standen und sassen auf dem Boden. Wahrscheinlich suchten sie sich hier Schutz vor Luftangriffen. Es gab kein Gedrängel, so konnten wir uns zwei Quadratmeter freie Fläche am Bahnsteig finden. Glücklicherweise hatte ich meine Yoga-Matte dabei. Obwohl dünn, jedoch gab sie einigermassen Isolierung vom kalten Granitboden. Wir waren hungrig aber wir konnten uns nicht entspannen. Immer wieder aktualisierten wir die Webseite von ukrainischen Eisenbahn in der Hoffung eines zusätzlichen Züges. Immer wieder versuchten wir irgendein Busunternehmen zu finden, wo noch Plätze frei wären. In Berlin meine Freunde Gianni und Pepe haben auch versucht die Flugmöglichkeiten richtung Slowakei, Rumanien, Moldau zu finden und Tickets zu kaufen. Alles vergeblich.
Auf der Metrostation wurde angekündigt, dass der Zugverkehr bis morgen früh engestellt wird. Zwei Züge kamen an Bahnsteigen und öffneten Ihre Türe. Man ludt uns ein, sich auf den Sitzen bequem zu machen. Die Station hatte keine Heizung aber richtig kalt war es auch nicht. Die Mädchen schliefen ein, ich habe weiter im Internet nach Tickets gesucht. Spät in der Nacht wollte ich aufs Klo. Erfreulicherweise konnte man das Personalklo benutzen.
Die Stimmung der Menschen
Ich war sehr beeindruckt, wie ruhig es auf der Station war. Die Menchen verhielten sich diszipliniert. Es gab kein Geschrei, keine laute Flüche. Nur ein einziger betrunkene Obdachlose (man erkenne es an der Kleidung) hat versucht rumzubrüllen, aber keiner wollte sich mit ihm streiten. Frauen haben gebeten, die Fluchtsprüche aufzuhören. Erstaunlicherweise ist er auch schnell still geworden.
Es fühlte sich alles ruhig. Insoweit es ruhig in so einer Lage sein könnte. Aufs Klo hat man geduldig Schlange gestanden. Die Metrometarbeternnen haben heisses Wasser aufgeteilt. Später haben sie ihre eigenen Teevorräten angeboten. Ich füllte die Thermoskanne mit heißem Wasser. Dann ging ich zurück zu Dani und Anastasia. Ich versuchte zu schlafen, wobei ich mich "bequem" auf einer dünnen Yogamatte niederließ. Es wurde kühl, aber ich war müde von dem Erlebten und schlief schnell ein.
Tag 2. Im "Flüchtlingsexpress"
25. Februar 2022
Ich schlief unruhig. Es war an der Grenze mit kalt, mein Schlafsack hatte Dani, der Wagenboden war hart. Zumindest war er nicht so kalt wie Granitplatten. Ich hatte wirre und intensive Träume.
Um 6 Uhr hatte die Lautsprecher-Stimme gebeten, die Züge zu verlassen. Anastasia ist nach oben gegangen. Wir haben abgemacht, dass wir uns im Bahnhof neben den internationalen Fahrkartenschalter treffen. Kurz danach waren wir auch in der Bahnhofstation. In der Halle war es warm. Es gab wieder viele Menschen. Die Schlangen an den Fahrkartenscghalter waren nicht gross. Aber die Tickets gab es immer noch erst ab dem 1.März. Eine Frau lief an die Kasse ran und mit flehender Stimme sich nach Karten erkundigte - “Ich bin deutsche Staatsbürgerin… Haben Sie vielleicht für Ausländer etwas reserviert?” Die Bahnhofeingestellte hinter dem Schalter schuttelte den Kopf. Es war die gleiche Frau, die hier auch in der Nacht gearbeitet hat. Ob sie überhaupt geschlafen hat?
Ich bin mit dieser Deutschin ins Gespräch gekommen. Sie hiess Klara. Sie sprach auch gutes Russisch. Sie sagte sie hätte ein Auto. Sie bat uns zusammen aus der Ukraine zu fliehen. Mit ihrem Auto. Da es keine Karten gab, habe ich mir kurz überlegt, ob wir mit dem Auto 670 Kilometer durch das Land im Krieg schaffen… Wir beide, Klara und ich, haben Führerscheine und können abwechselnd fahren. Aber das Auto ist nicht mal vollgetankt. Ob wir noch Sprit unterwegs finden? Wie viele Gefahre warten auf uns, wenn wir alleine mt PKW durch den ukrainischen Winter sausen…
Klara, - I said, - your plan is too risky. We can try it only as a last option. Let's go to the train and beg the conductor to take us without tickets. "I can't... I have my smartphone and stuff at home... Not far from here. Can you wait for me?"
- "Bitte verstehen Sie mich richtig. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich auf Sie warte. Beeilen Sie sich. Und der Gott verhelfe Ihnen.”
Klara eilte sich nach Hause.
Plötzlich verspürte ich ein komisches Impuls. Ich versuchte, die ukrainischen Wörter zu verstehen, die der Lautsprecher vor sich hinmurmelte. “Auf dem Gleis blablabla (unverständlich) fängt das Boarding an den Intercity Express blablabla (unverständlich) … Przemyśl. Die Abfahrt des Züges um 6:50.”
Die meisten derartigen Ansagen wurden von mir ignoriert. Weil wir keine Karten haben, weil es undeutlich und auf Ukrainisch erfolgte, was ich nicht ganz verstehen konnte. Aber diese Ansage hat mich irgendwie angesprochen. Bis zur Abfahrt blieben wenige Minuten. Ich rannte zurück zu unserem Gepäck. Gottseidank, Dani war startbereit. Wir grifften nach unseren Sachen und eilten zum Platform zwei. Dort stand tatsächlich ein europäisch aussehender Zug. Ein Afrikaner vor uns sagte etwas dem Schaffner neben dem Waggoneingang. Der nickte. Der Afrikaner stieg ein. Wir folgten ihm. Dani hatte eine grosse Angst, dass man uns aus dem Zug herauswirft. Ich war auch besorgt, aber versuchte eine ruhige Stimmung zu behalten.
Im Zug
Im Waggon zur meinen grossen Bewunderung gab es kein Gedrängel. Sogar umgekehrt! Es gab ein gutes Drittel aller Sitzplätze frei. Gleich haben wir uns auf die weich gepolsterten Sitzen gemütlich gemacht. Ich stand wieder aus und wollte den Schaffner aufsuchen. Wird er das Fahrtgeld im Bar akzeptieren? In desem Moment fuhr der Zug los. In Gängen standen neu angestiegene Fahrgäste. Die Lautsprecherstimme bat freie Plätze einfach zu nehmen und Reisedokumente parat zu halten. Schaffner war nicht zu sehen. Ab und zu eilten siche das uniformierte Zugpersonal und verteilte kleine Plastikflaschen mit Trinkwasser. Ich habe einige Neueingestiegene angesprochen. Sie hatten auch keine Tickets. Das hat mich etwas beruhigt.
Zwei Stunden vergingen. Der Zug rollte schnell richtung Westen. Wir spürten eine riesige Erleichterung. Dennoch war unsere Lage unruhig. Dani versuchte ruhig und cool bleiben, aber ich wusste, dass sie eine grosse Angst hat bei der Ausreise und auch bei der Einreise nach Polen Schwierigkeiten zu haben.
Bild 6. Bahnhof Khmelnytskyi
Der Zug hielt selten und kurz, nur 1-2 Minuten. Es freute uns. Denn es war noch weit bis zur polnischen Grenze. Nach der ermüdenten Nacht im Metro sind wir bald eingeschlafen. Uns hat niemand geweckt. Kein Schaffner hat nach der Fahrkarten gefragt. Die App MAPS.ME zeigte, dass wir bereits in der Nähe vor der Stadt Khmelnitsky waren. Ich habe sofort alle Whatsapp und Telegram Messages gescheckt.
Die Nachrichten waren insoweit gut, dass niemand aus meinen Freunden und Verwandten verletzt war. Ich atmete auf. Dennoch die Lage sah recht düster aus.
Unsere neue Freundin Anasstasia welche die Metrostation vor uns verlassen hat, dachte, dass wir immer noch im Metro sitzen. Sie schrieb: “Geht nicht raus, es hat irgendetwas lauter hier über Bahnhof geflogen. Alle worden ins Untergeschoss verschickt.”
Unsere Freundin Sweta auch sendete uns eine Telegram Message:
Bild 7.Deutsch: Panzer in den Strassen Kiews. Wir sind gerade draussen, neben dem Luftschutzkeller. Wir hören Geschosse der Maschinengewehre in Obolon [Kiewer Stadtteil].
Bahnhof Ternopil
Wir fahren weiter. Ein riesiger Stein ist von der Seele gefallen. Umso weiter Kiew hinter uns entfernt ist, desto besser geht es mir. Dani vielleicht besorgt, zeigt es aber nicht. Wir lächeln und versuchen Witze zu erzählen, um uns von der Lage nicht so stark unterdrücken zu lassen.
Weitere Telegram Nachrichten von Sweta.
Deutsch: Wir sind [von Explosionen] um 4 Uhr morgens aufgewacht. Wir haben diesen fallenden Kampfjet gesehen. Allerdings ist die Videoaufnahme ist aus einem anderer Stelle (nicht von mir] gedreht.
Lwiw (Lemberg)
Endlich Bahnhof Lemberg. Wir stehen ziemlich lange. Viele Menschen steigen aus, viele steigen ein. Ob sie alle Karten haben ist unklar. Wir laden eine alte Frau ein mit uns auf einem Zweisitzerplatz zusammenzusitzen. Sie lächelt aber schaut immer zu seite. Die Arme! Wer weiss, welche Sorgen sie in sich trägt.
Durch den Zug gehen uniformierte Frauen, jung, sportlich, um 30-40 Jahre alt. Sie suchen nach Desertieren. Ab und zu sagt die Stimme aus dem Waggonlautsprecher “Alle Männer zwischen 18 und 60 werden gebeten, den Zug zu verlassen. Sie werden nicht aus der Ukraine wegfahren dürfen.” Mir trifft es Gottseidank nicht zu, weil ich kein Ukrainer bin. Aber ich sehe wie ein oder anderer Mann mit einer solchen Deserteuer-Jägerin zum Ausgang geführt wird. Manch einer will seinen Sitz nicht verlassen. Aber heftigen Widerstand leistet auch keiner.
Endlich fahren wir weiter. Der Zug ist jetzt voll. Es gibt mehr Flüchtlinge als Sitzplätze. Man steht in den Gängen. Die Zugcafeteria ist geschlossen, Essen gibt’s nicht. Es stehen lediglich drei grosse Flaschen mit Trinkwasser. Zwei Freiwilligen füllen die von Passagieren mitgebrachte Plastikflaschen mit Wasser.
Meine Freunde, welche wussten, dass ich in der Ukraine bin, schicken mir die stärkenden Wörter per Whatsapp und Telegram. Ich beruhige sie, bleibe jedoch selbst beunruhgt wenn ich an meine Freunde und Verwandte denke, die in der Ukraine bleiben. Leute haben Angst aber die meisten können nicht fliehen – zu wenig Geld, zu alte Eltern, Männer dürfen nicht über die Grenze.
Ich will nicht mehr nach ofiziellen Nachrichten mehr suchen. Denn meine ukrainische Freunde leiten mir genugend Fotos, Kurzberichte und Videos weiter. Wie es zu erwarten war, haben irgendwelche Bewaffnete Menschen die Geschäfte zu plündern. Von Armee erwischt, werden sie verhaftet oder an der Stelle erschossen. Diese Videos sind zu grausam um sie hier zu veröffentlichen.
Grenzübergang Ukraine-Polen
Bild 8. Przemyśl, Poland
Nach zwei Stunden fahrt aus Lemberg, hält der Zug kurz vor Grenze. Immer wieder laufen durch den Zug die Deserteuer-Jägerinen. Danach kontrollieren die gleiche uniformierte Frauen nochmal alle Reisenden und stempeln die Reisepässe ab. Wenn Dani an der Reihe ist, gebe ich der Grenzbeamtin unsere beiden Pässe gleichzeitig. Sorgfältig gescheckt, setzt sie die Ausreisestempel. Von der Geldstrafe für drei Tage Visumüberzug ist keine Rede. Dani atmet erleichtet auf. “Polen wird dich schon reinlassen, keine Sorge” – flüstere ich ihr ins Ohr. Sie nickt und versucht zu lächeln aber ich sehe, dass sie immer noch nicht entspannt ist.
Wir stehen sehr lange – mehr als vier Stunden. Das ist doppelt so viel als die Fahrt aus Lemberg. Das ukrainische Mobilfunk funktioniert. Aber mobiles Internet gibt es nicht mehr. Die Kommunikation ist abschnitten. Ich lese aus der Bibel. Dani ist in Gedanken versunken. Sie versucht zu schlafen aber die Aufregung lässt scheinbar nicht los. Die Desertärjägerinnen (und gleichzeitig Grenzbeamtinen) sind weg. Der Zug fährt jedoch nicht weiter. Menschen sind ermüded. Aber es gibt keine Aufregung. Ich glaube alle sind sehr erleichtert, denn wir haben es fast geschafft. Und ist es immerhin besser im Zug zu warten als draussen.
Endlich fährt der Zug weiter. In enigen Minuten hält er an. Wir steigen elig aus. Denn draussen ist sehr kalt. Eine Schlange vor dem Gebäude des polnischen Zolls.
Bild 9. Auf Wiedersehen, Ukraine. Wilkommen in Polen!
Formalitäten sind minimalisiert – Beamte hält Danis Filipino-Pass am Lesegerät, lächelt müde und nickt richtung Ausgang.
Der kleine Platz vor dem Bahnhof ist kaum beleuchtet. Es sind gute 80-100 Personen. Man verteilt Berliner-Gebäck. Wir hören Aufrufe: Warschau, Krakau, Berlin, Prag… Prag! Das trifft sich gut! Den Vasilij, mein Bruderherz, wartet auf uns schon. Ja, ich habe gute Freunde in Berlin. Aber die werden wir später besuchen. Übermüded von letzten Tagen entscheiden wir uns schnell auf direktem Wege nach Bayern zu Vasilij zu fahren. Prag passt ganz gut, weil Vasilij in der Nähe der tschechischen Grenze wohnt.
Was kosten zwei Karten bis nach Prag – erkundige ich mich. “Beskoshtovno!” lacht der Typ. Kostenfrei. Was für eine gute Überraschung! Eine halbe Stunde später sitzen wir im Volskwagen Bus vom Strabag Autovermietung. Unsere Fahrerin heisst Natasha. Sie ist auch zwischen 30 und 40, ernst und konzentriert. Wir mit Dani sitzen ganz vorne. Im Salon sitzen vier andere junge Ukrainerinnen. Der Bus rollt zu Autobahn. Wir sind mega glücklich. Und mega müde auch. Was für ein unendlich langer Tag! Wir schlafen endlich ein. Das letzte woran ich mich erinnern kann, ist unsere Fahrerin Natasha, die Red Bull Energy Drink trinkt…
Tag 3. In Europa
26.02.2022
Ich wache auf. Es ist immer noch Nacht. Vielleicht 2 oder 3 Uhr morgens. Unser Kleinbus steht auf einem Parkplatz. Natasha schläft im Sitzen. Sie hat eine sehr unbequeme Position. Meine Beine tun ein bisschen weh weil ich die nicht strecken kann. Aber nach der vorhergen schlaflosen Nacht falle ich schnell in den Schlaf wieder…
Mein nächstes Aufwachen ist auf einer Tankstelle. Tschechien! Natasha kauft uns Kaffee. Er ist vom Automaten, aber schmeckt sehr lecker. Dani ist begeistert. Der Kaffee gefällt ihr gut. Wir essen Süsses Brotchen und setzen unser Fahrt vor.
Prag
Kurz nach 12 Uhr mittags sind wir im Zentrum vom Prag. Unser Bulli hält neben einer Wohltätigkeitsorganisation. Der Name ist mir jetzt entfallen. Menschen sind sehr freundlich. Ich frage wo wir ukrainisches Geld in tschechisches umtauschen können. Sie lachen und drücken mir 2000 Korunas (CZK) in die Hand. Das kann ich aber nicht annehmen. Denn wir haben Geld. Ich gebe dem guten Mann unser ukrainisches Geld – zweiandhalb Tausend Hryvna. Wir werden es sicherlich nicht mehr gebrauchen können.
Wir fragen nach dem Weg zum Hauptbahnhof… Man sagt uns, es sei ein Katzensprung von hier aus. Sie können uns gerne hinfahren. Und in einigen Minuten laden wir unsere Rücksäcke vorm unterirdschen Eingang Prag Hauptbahnhof. Der Kleinbus verschwindet und wir schauen einander an. Wir haben es fast geschaft! Wir sind in Prag! Im alten wuderschönen Prag!
Im inneren des Bahnhofs sieht alles fast wie in Deutschland aus. Schilder und Lautsprecher informieren Reisenden in tschechischen, englischen und deutschen Sprachen. Im Reisezentrum kaufen wir zwei Karten für den nächsten Zug. Er fährt in einer Stunde und hält in Schwandorf an. Wir müssen nicht umsteigen. Perfekt. In einer Cafeteria trinken wir Earlgrey Tee und schliessen die Krankenversicherung ab. In Deutschland ist es nämlich Pflicht, eine Krankenversicherung zu haben. Ohne Krankenversicherung darf man niicht nach Deutschland reisen.
Die 2000 Korunas reichen für alles – für Fahrkarten nach Deutschland, fürs Teetrinken, auch für ein kleines Einkauf – Obst und Brötchen. Es bleibt sogar Einiges übrig. Wir steigen in den Zug ein. Es gibt kaum Menschen drin. Dafür gibt es kostenlosen WiFi. Wir beruhigen unsere Familienangehörige. Auch tauschen wir die Nachrichten mit unseren Freunden in Kiew ein.
Die Nachrichten aus der Ukraine sind grausam. In vielen Städten Ukrainas laufen Gefechte.
Deutschland
Die Fahrt bis zur deutschen Grenze dauert zirka einundhalb Stunden. Dani merkt gar nicht, dass wir bereits in Deutschland sind. Es kommt die erste deutsche Bahnstation. Der Zug rollt weiter. Es ist viel Wald um uns herum. Dazwischen zeigen sich einzelne Landhäuser und Siedlungen. Alles sieht sehr akkurat, sauber, niedlich. Dani ist begeistert! Das ist wie in der Schweiz! – ruft sie begeistert auf. Zumindest wie ich mir die Schweiz vorstelle.
Unser Waggon ist fast leer – eine junge Frau aus Holland neben uns, ein arabisch aussehender junger Mann nebenan und vielleicht ein paar Personen im Hintergrund. Wir essen. Dani hat gut vorgesorgt. Wir haben sogar heissen Earlgray im Thermos. Ich sehe deutschen Schaffner. Er wird von Uniformierten begleitet. Oha! Es ist kein Schaffner, es sind die Polizei. Panisch denke ich, dass dunkelhäutige Dani zu auffällig sein könnte. Ich überlege schnell, ob sie die Covid-Maske anziehen soll. Aber wir essen ja… Okay… Ich lasse die Situation los.
Polizisten nähern sich. Die begrüßen uns. “Guten Tag.” Wir nicken und sagen auch “guten Tag.” Ohne Weiteres, gehen sie weiter. Direkt zu unserem Nachbar. Er ist tatsächlich ein Arabe. Die Polizei kontrolliert seine Papiere. Die sprechen Dialekt. Ich verstehe irgendwelche Fragmente… “Aufenthaltsgestattung abgelaufen… wo wohnen Sie? Was haben Sie in Tschechien getan”. Der junge Mann errötet. Er spricht sehr gebrochenes Deutsch. Er ist offensichtlich sehr nervös. Ob seine Papiere wirklich in Ordnung sind?
Wir sind fertig mit dem Essen. Die Polizei ist immer noch beim Araben. Ich will nicht, dass sie zum Gedanken kommen, Dani zu kontrollieren. Schliesslich hat sie gar kein Visum. Nur den ukrainisch-polnischen Grenzübergang Stempel. Sicherheitshalber schicke ich sie weg, um das Müll wegzubringen und Geschirr abzuspülen. Dani geht langsam zum Waggonausgang. Entweder hat sie keine Angst oder beherrscht sich gut. Sie macht einen souveränen Eindruck. Ein Polizist schaut sie kurz an, sagt aber nichts.
Die Polizei geht weiter. Den jungen Man haben sie nicht mitgenommen. Ich bin neugierig. Ich setze mich zu ihm und frage, ob er weiterreisen darf? Oder muss er Deutschland verlassen. Er spricht aber wirklich kein Deutsch, sondern Arabisch. Nicht mal Englisch. Ich höre die Ansage “nächste Station Schwandorf”. Wir bringen unsere Rücksäcke zum Ausgang. Alle Reisen sollten jetzt hoffentlich, zumindest vorübergehend, hinter uns sein.
Wir steigen aus und gehen zum Bahnhofsgebäude. Ich weiss schon, dass wir von unserem gemeinsamen Freund Andy abgeholt werden. Unser Zug kam jedoch mit Verspätung. Ob Andy noch da ist? Doch er ist da! Wir umarmen uns. Dani stellt sich auf Deutsch vor. Allerdings richtig sprechen kann sie auf Deutsch noch nicht.
Bis nach Schwarzhofen ist es zirka eine halbestunde Fahrt. Wir plaudern mit Andy und die Zeit vergeht schnell. Endlich Schwarzhofen. Marktplatz. Galerie VKUS. Wir steigen aus. Ich bin glücklich und aufgeregt. Letztes Mal hatten wir uns mit Vasilij vor mehr als zwei Jahre gesehen, bevor ich nach Indien reiste.
Das glückliche Treffen würde ich hier nicht beschreiben. Unsere Reise endete. Endete? Wohl nicht, denn Dani muss noch legalisiert werden. Und wir sind immer noch nicht angekommen dort, wo wir leben werden.
Happy End?
Geschichte unserer Flucht hat ein vorübergehendes Happy End. Das kann man aber nicht über die Menschen in der Ukraine sagen. Für sie die Hölle geht weiter.
Soldaten auf beider Seiten sterben weiter. Zivillisten sterben. Alt und jung, Frauen und Männer. Häuser werden zestört. Man schläft in engen kalten Keller, weil dein Haus jede Sekunde von einer Rakete getroffen werden kann. Transport ist stillgelegt. In Geschäften muss man stundenlang in der Schlange warten. Und das Ende des Krieges ist momentan nicht absehbar. Gott lasse den Krieg aufhören.